- Oft werden IT'ler mit Sisyphos verglichen. - Ich finde aber, dass dieser Vergleich hinkt. Warum?
Easy: Sisyphos Strafe in der Unterwelt bestand darin, einen Felsblock einen steilen Hang hinaufzurollen. Ihm entglitt der Stein jedoch stets kurz vor Erreichen des Gipfels und er musste immer wieder von vorne anfangen. Das impliziert aber:
- dass sich der Stein dem Gipfel genähert hat
- dass er von alleine wieder in seiner Grundposition ankommt
- dass er das tut, ohne erheblichen Schaden zu verursachen
Wenn du also Sisiphos wärst, der in der IT arbeitet, sähe die Geschichte folgendermaßen aus:
- Du bekommst das Sisiphos Projekt. Irgend jemand hatte gehört, dass du schon mal was mit Steinen gemacht hast, deswegen bist du jetzt der neue Ansprechpartner. Deine Beteuerungen, dass sich deine einzige Erfahrung damit auf "Über einen Kiesweg laufen" beschränkt, stoßen auf taube Ohren.
- Die einzige Parallele zum Mythos ist, dass das eingeplante Budget für Arbeitsmittel und Personal quasi gleich Null ist.
- Du versuchst dir erst mal einen Überblick zu verschaffen, was so ein Unterfangen alles umfassen könnte. Du stellst dabei fest, dass weder das benötigte Know-How, noch das geeignete Werkzeug zur Verfügung steht.
- Weil du keine andere Wahl hast, als dich selbst damit zu befassen, stellst du einen Antrag auf einen Testberg. Dieser wird zunächst abgelehnt. Testberge kosten Geld.
- Nach langem Hick-Hack bekommst du endlich einen Testberg. Er ist ein Zehntel so hoch, wie das Original und der Stein fehlt. Als du den endlich nachgeliefert bekommst, ist er etwa so groß, dass du ihn auf deinen Testhügel werfen kannst. Du lernst dabei aber große Mengen über die flugdynamischen Eigenschaften von Steinen.
- Du kommst zum Schluss, dass unter diesen Umständen weiterzutesten sinnfrei ist und willst dich wieder dem Produktivsystem widmen. Das Telefon klingelt. Es ist jemand von deinem alten Projekt, "Titanic II". Sie wollen wissen, wie hoch die maximale Zuglast für Eisberge ist. Du versuchst ihnen zu erklären, dass "Titanic II" ein EisBRECHER ist, kein EisSCHLEPPER. Nagut, sie versuchen halt mal...
- Nächster Versuch: Der Stein liegt woanders. Jemand hat ihn genommen und auf die andere Seite des Berges migriert, weil das "von da leichter geht". Der Neigungswinkel ist auf beiden Seiten gleich und die Höhe in Relation zum Gipfel gänzlich unverändert. Man muss jetzt aber auf die andere Seite, um hin und wieder zurück zu kommen.
- Bevor der Weg um den Berg betreten werden kann, muss erst ein Mesh und ein Geländer angebracht werden. Wegen Steinschlag und Absturzgefahr. Moment! Für einen Steinschlag muss sich dieser überhaupt erst mal bewegen und... Absturzgefahr am Boden? Jaja. Ganz richtig. Vorschrift ist Vorschrift.
- Nachdem alles angebracht und der Weg zum Stein frei ist, stellst du fest, dass die Chefetage ein neues Logo draufgepinselt hat. Außerdem haben sie einige Segmente abgeschlagen und anders wieder angeschraubt. Du wirst zu einer einstündigen Roadshow eingeladen, wo sie erklären, dass die Farbe Agilität bedeutet und der neue Sockel Beständigkeit.
- Als du einwirfst, dass der Stein so nicht mehr rollen kann... weil... Physik und so, halten dich alle für einen Spielverderber. Und du würdest immer versuchen, den Fortschritt aufzuhalten. Dein Vorschlag, ein Gestell mit Rollen oder ein Schienensystem anzubringen, wird nur sehr widerwillig angenommen. Wegen der Beständigkeit.
- Von irgend einem abteilungsfremden Dampfplauderer wird vorgeschlagen, das ganze in die Cloud zu verlegen, weil man da Infrastruktur sparen kann und der Stein ja dann fast von alleine rollt. Es wird erst zurückgerudert, als das benötigte Budget für die Migration und Umsetzung der Datenschutzrechlichen Verordnungen vorgelegt wird.
- Der erste Test des Schienensystems kann stattfinden. Sämtliche Sicherheitschecks werfen aber einen undokumentieren Fehlercode. Nach zweiwöchiger Fehlersuche stellt sich raus, dass ein Kollege den Schienenbenachrichtigungsdienst deaktiviert hat, weil er zu viele Statusberichte per Mail bekommen hat.
- Nach dem Aktivieren des besagten Dienstes werden sämtliche Statusberichte (inklusive minütlicher Fehlermeldungen wegen Timeouts für Dienste) zugestellt und fluten die Postfächer der ganzen Abteilung. Stunden später ist der normale Betrieb wiederhergestellt und alles aufgeräumt.
- Die nächste Woche vergeht damit, die anderen Fehler rauszusuchen und zu beseitigen, deren Meldungen man nicht erhalten hat.
- Es finden vier Meetings statt, in denen eruiert werden soll, warum die Tests noch nicht statfinden konnten. Es wird keine einzige Person eingeladen, die tatsächlich bescheid weiß.
- Die Führungsetage beschließt, dass es weder an den Saboteuren, noch an den grob unterdimensionierten Ressourcen, sondern an konvoluten Prozessen und mangelndem Fachwissen liegt. Es wird hastig das Lean Management und Schulungen für Steinbegleitpersonal einberufen.
- Da kein Prozess ohne Mittel läuft und Steine im allgemeinen nicht sehr gesprächig sind, wird beides nach sechs Wochen wieder eingestampft.
- Zwischenzeitlich wurden zwei neue Fachabteilungen gegründet, von denen keiner weiß, was die überhaupt tun.
- Trotz Mithilfe der Leitung kann endlich der zweite Test stattfinden. Weil beim Call der Stein API ein Strichpunkt vergessen wurde, bewegt sich das ganze Konstrukt entlang der Rotationsachse um den Berg. Als es zum Stehen kommt, hat der Stein exakt dieselbe Position, wie ganz am Anfang.
- Auf seinem Weg dorthin hat er überraschenderweise sämtliche Sicherheitseinrichtungen verfehlt, aber ein paar Baumaschinen plattgewalzt, die gerade Wartungsarbeiten daran vorgenommen haben. Der Bauarbeiter konnte sich gerade noch in Sicherheit bringen, indem er über die Absturzsicherung kletterte. Als er wegen dem ausgegebenen Hinweis, dass sich an die Helmpflicht zu halten ist, einen mittelschweren Wutausbruch bekommt, wird "wegen des Traumas" der FIrmenpsychologe beauftragt. Beide werden schließlich beim Versuch, eine Gewerkschaft zu gründen, rausgeekelt.